Wer in diesen Tagen ein Fussballspiel der Europameisterschaft der Frauen in der Schweiz besucht, bekommt vielleicht eine türkisfarbene Broschüre in die Hand gedrückt. Mit Fussball hat sie nichts zu tun. Auf dem Cover ist eine Frau mit tiefen Augenringen und leerem Blick zu sehen, daneben steht in grossen Lettern: «Fakten über Drogen».
Eine watson-Userin hat eine solche Broschüre erhalten. Sie wurden vor dem Wankdorf-Stadion beim Spiel zwischen der Schweiz und Island am 6. Juli verteilt. Hinter der Broschüre steckt der Verein «Sag Nein zu Drogen – Sag Ja zum Leben». In der Broschüre selbst stellt er sich als «gemeinnützige Körperschaft» vor, die mit «Jugendlichen, Eltern, Pädagogen, ehrenamtlichen Organisationen und Behörden zusammenarbeitet».
Was nicht geschrieben steht: «Sag Nein zu Drogen» ist eine Tarnorganisation der religiösen Bewegung Scientology.
Im Bericht zu 50 Jahren Scientology Schweiz lässt sich dies nachlesen. Demnach gründeten Schweizer Scientologen 1990 den Verein. Bis 2024 seien über drei Millionen solche Broschüren verteilt worden.
Auf 32 Seiten will die Broschüre darüber aufklären, wie gefährlich es ist, Drogen zu konsumieren – von Alkohol, Cannabis, Heroin bis hin zu Crystal Meth ist alles mit dabei. Monique Portner-Helfer, Pressesprecherin der Stiftung Sucht Schweiz, beurteilt den Inhalt der Broschüre auf Anfrage von watson kritisch:
Ein Beispiel: In der Broschüre steht geschrieben, dass Drogen Gifte seien: «Eine kleine Menge wirkt stimulierend. Eine grössere Menge beruhigend oder einschläfernd. Eine noch grössere Menge kann tödlich sein.» Hier würden alle Drogen pauschal über einen Kamm geschert, sagt Sucht Schweiz. Alle Drogen würden Gefahren mitbringen, aber nicht alle gleich wirken.
Zudem sei die Broschüre gespickt mit «moralisierenden Zuschreibungen». Zum Beispiel steht bei den vermeintlichen Fakten zu Heroin: «Gewalt und Verbrechen stehen mit der Verwendung von Heroin in Zusammenhang.» Von solchen pauschalen Aussagen hält man bei Sucht Schweiz wenig. Sie suggerierten, dass alle Konsumierenden gewalttätig werden oder werden könnten.
Die Broschüre ist durchzogen mit Symbolbildern von Menschen, die Drogen konsumieren. Neben dem Warntext zu Heroin setzt sich eine junge Frau eine Spritze in den Arm. Auf der Infoseite zu Kokain zündet sich eine andere eine Crack-Pfeife an. «Diese Form der Illustration fördert Stereotype und damit Stigmatisierung», hält Portner-Helfer von Sucht Schweiz fest. Das Gesamturteil über die Scientology-Drogenbroschüre fällt vernichtend aus:
Die Aktivistin Yolanda Sandoval Künzi ist wenig überrascht, dass Scientology die Fussball-EM in der Schweiz nutzt, um ihre Inhalte zu platzieren. Zusammen mit ihrem Mann Beat Künzi betreibt sie den «Anti Scientology Blog», auf dem sie mehrmals die Woche über die Aktivitäten von Scientology in der Schweiz berichten.
«Mitte Juni haben wir in einem Blog-Post davor gewarnt, dass ‹Sag Nein zu Drogen› während der Europameisterschaft aktiv sein wird», sagt Sandoval Künzi. «Das war nämlich schon während der Fussball-EM der Männer letztes Jahr in Deutschland und auch während der Olympischen Spiele in Paris der Fall.»
Tatsächlich hatte das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz während der Fussballeuropameisterschaft der Männer im letzten Jahr vor «Sag Nein zu Drogen» gewarnt. «In einer offenbar konzertierten, sehr wahrscheinlich längerfristig geplanten Aktion verteilt die Organisation in grossem Umfang Informationsmaterial», heisst es in einer Mitteilung des Verfassungsschutzes. Darunter befand sich schon damals das Booklet «Fakten über Drogen», das nun auch an der EM in der Schweiz verteilt wird.
Der bayerische Verfassungsschutz stuft «Sag Nein zu Drogen» als Tarnorganisation von Scientology ein. In Deutschland wird Scientology seit 1997 durch den Verfassungsschutz beobachtet. Es handle sich um eine gewinnorientiert arbeitende internationale Organisation, die ein weltweites, unumschränktes Herrschaftssystem nach eigenen Vorstellungen errichten möchte. Damit stelle Scientology auch das demokratische System Deutschlands und die Menschenrechte in Frage, argumentiert der Verfassungsschutz.
In der Schweiz steht Scientology nicht unter besonderer Beobachtung. Am 11. Juni fragte der Genfer Nationalrat Daniel Sormanni den Bundesrat, ob man Scientology nicht als Sekte definieren sollte. Sormanni schlug weiter vor, dazu ein nationales Sektenregister zu schaffen.
Der Bundesrat lehnt in seiner Antwort beides ab. Eine liberale Gesellschaft müsse verschiedene Weltanschauungen akzeptieren können, selbst wenn diese von einer grossen Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt würden. Zudem existiere im Bundesrecht gar keine Definition, was eine Sekte sei.
Georg Otto Schmid setzt sich schon lange mit Scientology auseinander. Er ist Leiter der evangelischen Informationsstelle Kirchen – Sekten – Religionen und gilt als einer der anerkanntesten Sektenexperten der Schweiz. Gemäss Schmid ist Scientology über die Jahre hinweg intransparenter geworden: «In den 1990er-Jahren hat Scientology noch ganz selbstverständlich die Verbindung zu ‹Sag Nein zu Drogen› offengelegt. Denn damals ging es noch darum, zu zeigen: Wir Scientologen und Scientologinnen leisten einen Beitrag zu einer besseren Gesellschaft.»
Heute aber fehlt in der Broschüre jeder Hinweis darauf. Gemäss Sektenexperte Schmid verfolgt Scientology zwei Ziele damit. Erstens: «Scientology will mit den Broschüren die eigenen Positionen zu Drogen verbreiten – ohne dass das sofort auffallen würde.» Schmid spricht in dem Zusammenhang von verdeckter Werbung. Wichtig sei auch der zweite Punkt: Wenn sich eine drogenabhängige Person bei «Sag Nein zu Drogen» melde, müsse man annehmen, dass ihr dann Kurse bei Scientology empfohlen werden.
Ein weiteres Problem bestehe darin, dass Scientology moderne Psychologie und Psychiatrie als Feindbild betrachte, so Sekten-Experte Schmid. Insbesondere den Einsatz von Psychopharmaka lehnten Scientologen ab. «Wenn ein Patient oder eine Patientin dringend ein Antidepressivum nehmen sollte, das dann aber aus Angst vor den von Scientology postulierten Nebenwirkungen nicht tut, dann kann das sehr schnell problematisch werden», sagt Georg Otto Schmid. Für ihn ist klar, dass man das Problem nur durch Aufklärung lösen kann – indem man den Absender hinter den Botschaften der Drogen-Broschüre klar benennt.
watson hat den Verein «Sag Nein zu Drogen» gefragt, warum die Organisation darauf verzichtet, in der Broschüre transparent zu machen, dass es sich dabei um eine Unterorganisation von Scientology handelt. «Seit Gründung des Vereins vor 34 Jahren wird uns vorgeworfen, wir seien intransparent und würden versuchen, über unseren Verein neue Scientology-Mitglieder anzuwerben. Das ist Quatsch», sagt Gerhard Bürkli, Pressesprecher von «Sag Nein zu Drogen.» Seine Frau Monika Bürkli ist Präsidentin des Vereins.
Sie würden seit vielen Jahren in der ganzen Schweiz wöchentlich die Broschüren verteilen. Vor Fussballstadien seien sie aber nur ganz selten.
Gerhard Bürkli ist bekennender Scientologe. Auf die Frage, warum der Verein denn trotz der Kritik die Verbindung zu Scientology nicht offenlege, sagt er: «Fragen Sie denn auch bei jedem Turnverein, ob der Präsident Katholik ist?» Bürkli widerspricht der Darstellung, «Sag Nein zu Drogen» sei eine Tarnorganisation von Scientology. «Wir sind ein eigenständiger Verein. Organisatorisch hat Scientology nichts mit uns zu tun.»
Scientology ist gefährlich und auch staatsfeindlich eingestellt, sollte man eigentlich schon längst verbieten.
Ich wünsche niemandem, dass er in die Fänge dieser oder jeder anderen Sekte gerät.
Welch Überraschung.
Wir reden hier über eine Sekte, die von einem Science-Fiction-Autor gegründet wurde und glauben, dass es einen galaktischer Herrscher namens Xenu gab.